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04.10.2013 | Mittelbayerische Zeitung | Von Michaela Schabel

 

Aufbruch in die die Verlorenheit: Mit Franz Kafkas „Amerika“ finden die Münchner Kammerspiele einprägsame Bilder für menschliche Einsamkeit.

 

München. „Are you lonesome tonight?“ Elvis Presleys besingt, worüber Franz Kafka schrieb: das Lebensgefühl Einsamkeit. Aus der Synthese gelingt Regisseurin Juli Van der Berghe eine bild- und symbolträchtige Inszenierung von Kafkas „Amerika“ in den Münchner Kammerspielen. Kafkas Romanfragment, eine düstere Parabel alter Machtstrukturen in der Neuen Welt, wird zum exaltierten Stationendrama (Text: Jeroen Versteele, Julie Van den Berghe). Aus der slapstickartig grotesken Szenencollage starrt kafkaeske Einsamkeit. Dieser amerikanisierte Kafka trifft pfeilgerade in sämtliche US-Klischees.
 
Die verbretterte Bühne in der „Halle“ der Münchner Kammerspiele wandelt sich überraschend zum mächtigen Frachter. Davor steht der Erzähler (Christian Löber) wie ein smarter Conférencier und ist gleichzeitig Alter Ego Karl Rossmanns (Stefan Hunstein), Kafkas Antiheld, der nach Amerika aufbricht. Das Schiff wird Sinnbild der neuen Welt: unten die Kleinen, oben an der Reling die Mächtigen. An Land geht es genauso weiter. Der grüne Boden der Hoffnung ist tückisch: Falltüren führen ins soziale Aus.
 
Rossmann, dieser Kafka-Loser, wird benutzt, eingequetscht in die Bewegungsmuster der amerikanischen Karriereleiter, hinabgezogen in den gluckernden Sumpf der Amoralität. Stefan Hunstein spielt ihn mit naiven Charme als good boy. Erst als er ausgeraubt wird , ganz nackt auf der Bühne steht, verdichtet er die Figur zur geschundenen Kreatur. Befreiung winkt erst, als er Brücken abbricht, weiterreist ins „Theater von Oklahoma“, ins Schattenreich des Todes, wo er nach einigem Zögern eingelassen wird und all die anderen Weggefährten in traumatischer Leichtigkeit vorbeikreisen sieht (Bühne: Ruimtevaarders). Ein sehr poetischer Schluss für Kafkas Amerika.
 
Die anderen spielen sechs Schauspieler, aneinander vorbeilebende Kreaturen in Mehrfachrollen, egal ob Auf-und Absteiger immer Gefühlsautisten, meist stimmige, amerikanisch klischeehaft aufgepeppte Interpretationen von Kafkas Typenarsenal. Mit durchdringender Artikulation vermittelt Walter Hess als sturer Bürokrat die Bedrohlichkeit der Macht. Christin König brilliert als Mannweib, knallhart als Onkel und abgerackerte Oberköchin mit unbefriedigter Sexualität und als stöhnende Erotomanin Brunelda. Schauspielerisch hervorragend agiert Katja Bürkle als Klara und Theresa zwischen Sex-Wahn und liebessüchtiger Einsamkeit. In der zarten Annäherung Theresas an Rossmann entsteht Emotionalität – ein einziges Mal in dieser marktschreierischen neuen Welt, für die Elvis Presleys Einsamkeitssong zum Leitmotiv wird. „Are you sorry we drifted apart?“ Angesichts dieses Figurenarsenals ist der Tod Erlösung. Stefan Merkis gigantischer Schnauzbart (Kapitän, Kleinkrimineller), nostalgisches Zeichen des gemütlichen Europas, ist längst passé.

 

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