04.10.2013 | Münchner Merkur| Simone Dattenberger
München – Julie Van den Berghe versuchte in der Spielhalle der Kammerspiele, Kafkas „Amerika“ für die Bühne zu adaptieren.
„Lerne Deine Stellung begreifen“, wird einmal in Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“ dem jugendlichen „Helden“ Karl Roßmann entgegengehalten. Das kann mit konservativem Beharrungsvermögen genauso zu tun haben wie mit gesellschaftlicher Unterdrückung – da kann aber auch viel Wahres daran sein. Zum Beispiel im Theater. „Lerne Deine Stellung begreifen“ würde bedeuten: „Lerne begreifen, dass deine Mittel die Bühne, die Schauspieler und das Stück sind. Romane mit einem weiten erzählerischen Bogen gehören einfach nicht dazu.“
Wenn Dramaturgen und Regisseure – wie im vorliegenden Fall von „Amerika“ – partout ein Stück schreiben möchten, sollen sie Dramatiker werden und das entsprechende Handwerk lernen. Einen im Übrigen nicht gerade locker-flockig daherkommenden Roman einfach umzumodeln, wie es Jeroen Versteele und Julie Van den Berghe versuchten, ist naiv, um nicht zu sagen unredlich. So ein Unglückswesen hatte am Mittwochabend unter dem Titel „Amerika“ in der Spielhalle der Münchner Kammerspiele Premiere (knapp drei Stunden; Sitzkissen nicht vergessen – Holzbänke!).
Der Text greift brav die Erzählepisoden und Motive auf (sexuelle Übergriffe, Funktionieren in der sozialen Hierarchie, undurchschaubare Regeln, Ungerechtigkeit, Unfreiheit), und die zaghafte Inszenierung von Julie Van den Berghe tastet sich an Kafkas groteske Weltsicht heran. Am eindrucksvollsten hilft ihr dabei das Bühnenbild von ruimteVaarders. Das Team hat in die Halle des Probengebäudes eine Wand aus Kulissenplatten gebaut, deren Rückseiten zur Zuschauertribüne zeigen. So desillusionierend diese Anti-Kulissen sind, so viele Illusionen enthalten sie – bis hin zu einer Art Zauberkasten, aus dem Menschen auftauchen oder verschwinden. Obendrein wird plötzlich die gesamte Bühnenfläche größer, als habe sich das Haus ausgedehnt. Die Bühnenbildner haben also Kafka verstanden, seine beunruhigende Albtraum-Realität. Das Unausweichliche, zugleich nie wirklich Fassbare.
Die Regisseurin setzt das in der Inszenierung zu simpel um: mit der verdoppelten Hauptfigur, mit meist karikaturhaften Typen, die vor allem Hupf-auf-Charme, riesige Schnauzbärte, vergröberte Nasen oder abstehende Ohren herumtragen müssen, und mit Elvis-Songs (Cristin König, Stefan Merki, Max Simonischek, Walter Hess, Edmund Telgenkämper). All das bringt freilich immer noch keine Stimmung in die Bude – weder skurrile noch kafkaeske. Eigentlich müsste es einem doch stetig mulmiger werden in diesem Amerika, immer bedrückter ums Herz wegen dieses netten Kerls, dieses Karls aus Prag. So ist einem höchstens mulmig, weil einem der Popo wehtut, die Luft schlecht ist, und der Herr nebendran deswegen wegkippt. Van den Berghe zwingt ihren Schauspielern außer einer unentschiedenen Haltung einen schleppenden Rhythmus auf. Und Generalpausen. Die sind auf der Bühne wunderbar, aber nur wenn sie mit atemloser Spannung gefüllt sind. In der Spielhalle herrschte hingegen Müdigkeit.
Die konnten selbst die Schauspieler nur zum Teil in Schach halten. Stefan Hunstein und Christian Löber waren die beiden Karle, letzterer eher auf den Erzähler abonniert. Er wird am Ende in den Armen des anderen niedersinken. Beide wollen möglichst nicht plump wirken, sich nicht als reiner Tor aus Europa ausstellen. Das Wesen dieses tapferen Menschleins finden sie nur ansatzweise. Katja Bürkle befreit sich aus den ihr zugedachten Stereotypen schließlich in der Rolle der Therese und berührt zutiefst mit einer Studie der Zartheit.
Aus solchen Szenen kluger Kafka-Annäherung und intensiver Bühnen-Kunst hätte „Amerika“ bestehen müssen – so jedoch blieb es meist bei Langeweile.
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